Inhalt
- 1 Makrozytäre Anämie und Hypothyreose
- 2 Schwere Polyneuropathie bei normalem Vitamin 12
- 3 Schwerer Vitamin-B12-Mangel
- 4 Perniziöse Anämie
- 5 Schritt für Schritt geht es aufwärts
- 6 Vitamin B12: Der Serumtest kann zur Fehldiagnose führen
- 7 Aus Fehlern wird man klug
- 8 Vitamin-B12-Newsletter
- 9 Sharing ist Caring!
Die alte Idee, dass der Ernährungszustand eines Kindes mittels bloßer flüchtige Untersuchung durch den Arzt sofort festgestellt werden könnte, muss aufgegeben werden. Solche Methoden gaben uns nur sehr wenige Informationen über das Auftreten milderer Mangelgrade oder der früheren Stadien ihrer Entwicklung.“ (Leslie J. Harries, Professor für Ernährungswissenschaften an der Universität Camebridge, 1955)[1]
Diese frühe Forderung eines Experten der Ernährung bewog mich, den Fall einer Hypothyreose-Patientin mit nachfolgendem Vitamin-B12-Mangel und perniziöser Anämie zu zitieren.[2]
Drei Faktoren führten zu einer Reihe Folgeuntersuchungen in verschiedenen Kliniken. Und zu einer Verzögerung des Behandlungsbeginns. Sowie (möglicherweise) zur vollen Ausprägung des Vitamin-B12-Mangels mit stark eingeschränkter Lebensqualität.
- die Beurteilung des Vitamin-B12-Serumspiegels als normal,
- das Übersehen der Tatsache, dass die Patientin zur Risikogruppe für Vitamin-B12-Mangel gehört,
- der Verzicht auf Methylmalonsäure- und Homocysteintests.
Die Geschichte beginnt:
Makrozytäre Anämie und Hypothyreose
Ein Spezialist für Hämatologie behandelte eine ältere Dame mit makrozytärer Anämie seit drei Jahren. Ihr Hämoglobin-Wert war zu niedrig, er lag bei 7,5 pmol/L. Das mittlere Zellvolumen dagegen betrug 110 fl., es war zu hoch. Der Serum-Vitamin B12-Wert betrug 301 pmol/L, er lag also im Normbereich.
Zuvor erhielt die Patientin mehrere Jahre wegen primärer Hypothyreose Levothyroxin (L-Thyroxin) . 2017 litt sie an fortschreitenden Schmerzen in den Beinen, die Füße waren taub, außerhalb ihres Hauses konnte sie nicht mehr laufen. Selbst das Gehen in den eigenen vier Wänden fiel extrem schwer.
Weitere Laboruntersuchungen ergaben keine Anhaltspunkte. Daher überwies der Hämatologe die Patientin in die Neurologie-Abteilung eines anderen Krankenhauses.
Die Geschichte geht weiter:
Schwere Polyneuropathie bei normalem Vitamin 12
Die Ärzte diagnostizierten eine schwere Polyneuropathie. Auch diese Klinik attestierte einen normalen Serum-Vitamin-B12-Spiegel, andere B-Vitamine (Thiamin-, Pyridoxin- und Folsäure) waren unauffällig.
Die Suche nach Anzeichen oder Laboranomalien, die auf eine Bindegewebserkrankung oder andere Polyneuropathie-Ursachen hinweisen, verlief im Sand. Ebenso eine Bewertung der Zerebrospinalflüssigkeit mit biochemischen und mikrobiologischen Methoden.
Die Geschichte geht weiter:
Schwerer Vitamin-B12-Mangel
Nachdem sie die Patientin 2 Wochen beobachtet hatten, beschlossen die Ärzte, mit der Vitamin-B12-Form Hydroxocobalamin zu behandeln. Die Ergebnisse der Blutuntersuchung bestätigten diese Entscheidung zwei Tage später:
Der MMA-Wert der Patientin betrug 37.000 nmol/L, und der Homocystein-Wert lag bei 165 μmol/L. Das ist viel zu hoch: Die ältere Dame hatte also einen schweren Vitamin-B12-Mangel. Weitere Labortests zeigten, dass der Antikörper-Titer gegen den Intrinisc Factor und gegen Parietalzellen hoch war.
Die Geschichte geht weiter:
Perniziöse Anämie
Die Klinik schickte die Patientin zur Ambulanz der Uniklinik Groningen. Diese klärte ab, inwieweit ein myeloplastisches Syndrom hinter den Beschwerden der Patientin stecken könnte, bei dem weniger und weniger funktionsfähige rote und weiße Blutkörperchen sowie Blutplättchen gebildet werden. Das war aber nicht der Fall.
Die naheliegendste Diagnose war jetzt perniziöse Anämie oder Addison-Biermer-Krankheit. Das ist eine Krankheit, bei der der Haupt-Vitamin-B12-Aufnahmeweg wegfällt: Der Intrinsic-Faktor-abhängige Transport des Vitamins im Dünndarm und dann durch die Darmwand ins Blut.
Der ursprünglich als normal geteste Vitamin-B12-Serumspiegel mochte darauf beruhen, dass die im Blut der Patientin befindlichen Intrinsic-Factor-Autoantikörper die Ergebnisse des verwendeten Vitamin-B12-Labortests verfälscht hatten. Allerdings gingen die Ärzte diesem Verdacht nicht mehr nach.
Die Geschichte geht weiter:
Schritt für Schritt geht es aufwärts
Die Anämie hatte sich aufgelöst. Aber die Patientin hatte auch ein halbes Jahr nach Behandlungsbeginn mit hochdosiertem Vitamin B12 (Hydroxocobalamin) noch gesundheitliche Einschränkungen, das heißt, sie hatte kein Gefühl in Füßen und Beinen und war unfähig ohne Rollator zu gehen.
Die Moral von der Geschicht:
Vitamin B12: Der Serumtest kann zur Fehldiagnose führen
„Dieser Fall ist ein klassisches Beispiel dafür, wie der Labortest für Serumvitamin B12 aufgrund einer Interferenz mit Intrinsic Factor-Autoantikörpern zur Fehldiagnose führen kann“, schließen die Kliniker.[3]
Und dafür, dass zurecht die alte Idee, dass der Ernährungszustand durch bloße flüchtige Untersuchung durch den Arzt sofort festgestellt werden könnte, aufgegeben werden muss. Dazu bedarf es umfassenden Spezialwissens.
Die Patientin, deren Fall ich zitiere, hatte eine primäre Hypothyreose. Patienten mit Hypothyreose zählen zur Risikogruppe für Vitamin-B12-Mangel.[4]
Aus Fehlern wird man klug
Im Nachhinein ist man immer schlauer. Und als Außenstehender hat man gut reden. Hämoglobin, mittleres Zellvolumen und Serum-Vitamin-B12 hatte er ja schon untersucht. Und von der primären Hypothyreose wusste er ebenfalls.
Wer weiß, vielleicht hätte der behandelnde Hämatologe bereits 2014 zusätzlich auf Methylmalonsäure und Homocystein achten sollen? Und der Patientin daher 2017 den Rollator ersparen können?
Was meinst du?
Vitamin-B12-Newsletter
Habe ich dich neugierig gemacht und Du möchtest noch viel mehr darüber wissen, wieso Vitamin B12 notwendig ist und wie du deinen Bedarf deckst? Dann lies HIER weiter: Warum Vitamin B12 – Mangel, Symptome und Grundlagenwissen.Oder abonniere meinen Newsletter und erhalte einmal im Monat frei Haus die neuesten Informationen über Vitamin B12 inclusive leckerer Rezepte zum Nachkochen.
Sharing ist Caring!
Wie hat dir mein Beitrag gefallen? Ich freue mich über Feedback, Kommentare und Bemerkungen. Sharing ist caring – was dich interessiert könnte auch andere interessieren: Bitte zeige meinen Beitrag auch deinen Freunden. Und teile ihn in den Sozialen Netzwerken in denen du unterwegs bist. Bei Fragen rund um Vitamin B12 wende dich gerne per Mail an bettina@urgesunde-ernaehrung-und-naturmedizin.de Ich antworte schnellstmöglich.
Foto: photocreo/depositphotos.com
[1] Combs, G.F. und J.P. McClung: The Vitamins, 5.te Auflage, Elsevier, Amsterdam, 2017
[2] Wolffenbuttel BHR, Wouters HJCM, Heiner-Fokkema MR, van der Klauw MM. The Many Faces of Cobalamin (Vitamin B12) Deficiency. Mayo Clin Proc Innov Qual Outcomes. 2019;3(2):200-214.
[3] Wolffenbuttel BHR, Wouters HJCM, Heiner-Fokkema MR, van der Klauw MM. The Many Faces of Cobalamin (Vitamin B12) Deficiency. Mayo Clin Proc Innov Qual Outcomes. 2019;3(2):200-214. doi:10.1016/j.mayocpiqo.2019.03.002
[4] Chandy, Dr.: Vitamin B12 Deficiency Support, http://www.b12d.org/submit/document?id=63 Zugriff 22.09.2020
Dieser Beitrag wurde zuletzt geändert am September 22, 2020 11:39 am
Wo bekommst du nur immer die ganzen Informationen zu den einzelnen Fällen her? Wird sowas tatsächlich veröffentlicht? Sry, ich kenne mich mit so etwas nicht aus, finde es aber unfassbar spannend, dass du das immer auf einen Fall beziehst.
Allerliebst <3
Mona